bookmark_borderDie Furcht zu irren

Wer wissen will, muss den Irrtum wagen. Er muss scheitern können, immer wieder, bis sich Gewissheit einstellt. Dazu braucht es Mut, Durchhaltewillen, Phantasie. Hegel meinte in seiner Einleitung zur Phänomenologie des Geistes, »daß die Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist«. Und nach Kant sind am unaufgeklärten Geisteszustand vor allem des Menschen eigene »Faulheit und Feigheit« schuld.

Es braucht zum Denken zwei Dinge: Verstand und Vernunft. Verstand ist die Fähigkeit, die Dinge nüchtern zu betrachten, in ihre Einzelteile zu zerlegen, zu ordnen und sie einzusortieren in das Gedankengebäude. Die Vernunft setzt dem endlosen Analysieren und Einordnen Grenzen. Sie setzt Prioritäten, entscheidet darüber, was wichtig ist und sich weiterzuverfolgen lohnt, und lässt das andere in den Hintergrund treten.

Dank des analyischen Verstandes zerfällt die Welt in selbständige Einzelteile, die sich nicht wieder zusammenfügen lasssen. Zum Beispiel: Wir analysieren den Menschen als aus Körper und Geist bestehend. Aber wie fügen sich die beiden Teile zu einem ganzen Menschen? Die Frage hat die Philosophen lange beschäftigt. Aber das Problem des “ganzen Menschen” ist nur ein Resultat der vorgängigen analytischen Reflexion – ein Scheinproblem, eine falsche Frage. Manche ziehen daraus den Schluss, dass wir aufhören sollten mit dem Analysieren – dabei reicht es zu verstehen, dass der Verstand seine Grenzen hat.

Wir brauchen die Vernunft, um die Bedeutung abzuwägen, die wir den Fakten zumessen, und Geschichten zu schreiben, die Einzelereignisse zu grösseren Zusammenhängen verbinden.