bookmark_borderHeiterkeit und ihre Feinde

Gesundheit gilt als Basis für ein heiteres Gemüt. Ein ausgeglichener Lebenswandel, Dankbarkeit für das, was man erreicht hat und Verzicht auf übertriebene Ansprüche ans Glücklichsein gehören zu den Merkmalen einer heiteren Persönlichkeit. Zudem stellt man schnell fest, dass Heiterkeit im Umgang mit anderen eine ansteckende und sich verstärkende Wirkung hat.
Was die Heiterkeit zuverlässig beeinträchtigt sind schlechte Gewohnheiten, wie zum Beispiel diese:

Der Konsum von Schlagzeilen.
Das Gegenmittel: News nur in kleinen Dosen konsumieren, mit genügend Pausen für das Nachdenken darüber, was der Redakteur sich gedacht hat, als er seine Zeile kreierte. Wahrscheinlich wollte er in erster Linie Aufmerksamkeit auf sich lenken: ok, das ist legitim, aber was habe ich davon, wenn ich sein Spiel mitspiele?

Die eigene Person zu wichtig nehmen.
Das Gegenmittel: Einsehen, dass Empörung über den Zustand der Welt nichts zu einer Verbesserung der Zustände beiträgt. Dass es unglücklich macht, wenn man ständig an der Verbesserung des eigenen Körpers feilt, und sich statt dessen vornehmen, die eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren.

Perfektionismus.
Gegenmittel: Bedenken, dass das Gelingen oder Nicht-Gelingen nur zu einem kleinen Teil der eigenen Leistung geschuldet ist, weil stets andere und Äusseres beteiligt sind, von denen man abhängig ist.

bookmark_borderErinnern heisst erfinden

Erinnerungen sind Momentaufnahmen. Eine Schulstunde vor 60 Jahren, der Lehrer fragt, einige recken die Hand hoch, jeder durfte etwas beitragen, am Schluss der Stunde war ein schönes Bild auf der Tafel mit Regenwolken, Sonne, Schnee, vom Lehrer mit Sorgfalt von Hand gezeichnet.

Diese Erinnerung ist lückenhaft und sehr verschwommen. Ich kann sie aber sprachlich so fassen, dass sie mir konkret vorkommt. Ich kann sie noch weiter ausschmücken: durch die Fenster des Schulzimmers sah man auf eine Wiese, der Lehrer rauchte in der Pause Zigaretten, die braven Schülerinnen sassen in der ersten Reihe…je länger ich nachdenke, desto mehr Einzelheiten fallen mir ein.

Wenn ich solche Momente hintereinander setze, erhalte ich eine Geschichte – meine eigene Biografie. Sie ist in sich geschlossen und lässt das Heute als einen letzten Punkt in der langen Reihe von Ereignissen erscheinen, die alle irgendwie sinnvoll zusammenhängen, die letztlich das ergeben, was ich bin.

Aber: die Geschichte bin nicht ich. Schon die Auswahl der Erinnerungen folgt meiner gegenwärtigen Stimmung. Bin ich traurig, tauchen andere Bilder auf als wenn ich mit meinen Leistungen von früher angebe. Begegne ich einem Freund aus der guten alten Zeit, der heute schon zerbrechlich wirkt, ändern sich sofort auch die Bilder aus der Zeit, als wir zusammend die Schulbank drückten.

Erinnern ist also eigentlich ein Erfinden – Phantasieren, Spekulieren, Zusammenhänge schaffen zwischen Eindrücken, die ich selber auswähle gemäss meiner aktuellen Verfassung als Autor.

Ich muss achtgeben, meine Fiktionen nicht mit der Realität zu verwechseln. Denn was hier fehlt ist die Sicht der anderen auf diese früheren Momente der Biografie. Aus Erfahrung weiss ich, dass sie häufig im Kontrast stehen zu meinen eigenen. Die Eindrücke der anderen sind der Prüfstein für mein eigenes Urteilsvermögen, für die geistige Frische und die Zuverlässigkeit des Denkens. Denn ich weiss, dass meine Erinnerungen je länger desto unzuverlässiger werden. Sie geben mir ein trügerisches Gefühl von Dauer, die sich jederzeit in Nichts auflösen kann. Kein Vergangenes kann sich sicher sein vor der Gegenwart (T.W.A).