bookmark_borderFalsche und richtige Fragen

Auf gute Fragen können wir, wenn wir Glück haben, befriedigende Antworten finden. Zumindest lohnt sich der Aufwand des Nachdenkens, auch wenn der Erfolg natürlich keineswegs garantiert und der Zeitaufwand für die Lösungen manchmal grösser ist als erwartet.

Aber nicht jede Frage ist eine gute. Es gibt solche, die meiner Erfahrung nach nur immer zu neuen Fragen führen, aber niemals zu klaren Antworten. Vor solchen Fragen muss man sich hüten, denn das Nachdenken oder Diskutieren darüber ist reine Zeitverschwendung. Hier eine kleine Auswahl – die Liste liesse sich sicherlich noch verlängern, aber die Idee sollte aus den folgenden Beispielen klar werden:

Erstens die “grossen Fragen”, die seit ewigen Zeiten gestellt werden. Ob es den lieben Gott gibt oder nicht. Wie man glücklich wird im Leben. Was überhaupt der Sinn des Lebens ist. Wo das Unendliche anfängt oder aufhört. Was Denken sei (wenn es denn stattfindet) und dergleichen mehr. Die Antworten dazu, von Philosophen, Mönchen und Stammtischliteraten, füllen ganze Bibliotheken. Klüger ist davon noch keiner geworden.

Zweitens die Fragen nach dem Wesen oder der Substanz von gedanklichen Dingen, von Ideen, Konzepten, Glaubenssätzen. Man achte auf Wörter wie “wesentlich”, “erheblich”, “zentral”. Wer wesentliches sagt, will damit vor allem die Ueberlegenheit seiner Kompetenz beweisen. Das Wesen des Kapitalismus, die Natur des Menschen, der Charakter eines Volkes – darüber lässt sich auch in hundert Jahren noch reden und nichts sagen.

Dazu gehören auch Abhandlungen über die grundsätzlichen Ursachen der Übel der Welt.  Die Annahme ist dort immer, dass “grundsätzlich Gerechtigkeit, Wohlsein und Glück” herrschen sollten. Was vergessen geht: naturgemäss gibt es weder Gerechtigkeit noch Glück oder Gesundheit: das sind alles zivilisatorische Leistungen, die ständig zu erneuern sind. Wo das nicht geschieht oder nicht möglich ist, fallen die Menschen zurück in den Naturzstand, der selten ein glücklicher ist.

Gute Fragen scheinen mir dagegen solche von der Art, die auch Handeln ermöglichen. Es sind eher kleine, der kurzen Spanne und den begrenzten Möglichkeiten des Lebens angepasst:

  • Wie umgehen miteinander?
  • Was muss ich tun, damit ich selbstbestimmt leben kann?
  • Wie wehre ich mich gegen die Angst, weniger zu sein als die anderen?
  • Was ist mir heute gelungen?

bookmark_borderKunst ist Interesse

Ich begegne einem alten Bekannten, der sich neuerdings als Künstler vorstellt. Er erzählt von spannenden Projekten, drei Ausstellungen gleichzeitig, Erfolg nur noch eine Frage der Zeit. Freischaffend produziert er jetzt Kunst, um damit Geld zu verdienen. Er redet wie ein Verkäufer, je länger ich ihm zuhöre desto mehr habe ich das Gefühl, ihm etwas abkaufen zu müssen.

Auf Facebook sehe ich mir einige seiner Bilder an: Allesamt hässliche Porträts mit hochtrabenden Namen (a la “oeuvre XX”). Viel Farbe auf grossem Format. Keins macht Lust zu verweilen. Ich frage mich, was für eine Art Publikum er damit anspricht.

Und ich frage mich nach dieser Begegnung: Verdient, was da in bester Absicht kreiert wurde meine Anerkennung, bloss weil es als Kunst deklariert ist? Muss ich es wohlwollend betrachten, auch wenn es hoffnungslos grottig aussieht, nur um meine Solidarität mit dem armen Künstler zu bekunden. Auch wenn ich ihn als Dilettanten betrachte?

Als Kunst sehe ich das, was mein Interesse daran weckt, mehr davon zu bekommen. Wenn ich gerne Zeit damit verbringe, um darüber nachzudenken und dabei neues lerne. Wenn ich Lust bekomme, Kenntnisse zu erwerben über den Künstler, die Zeit, das Gesamtwerk. Über seine Freunde, Feinde, seine Ansichten, die Auseinandersetzungen, die Art und Weise, wie er gearbeitet hat. Kunstwerke haben eine befreiende Wirkung, sie verbessern das Leben. Es ist leicht, das schlechte Leben abzubilden, aber nur wenigen gelingt es, sogar aus Katastrophen Kunst zu machen.

bookmark_borderman liest

Man liest in einer Rezension die lobenden Worte vom “unbequemen Denken” eines Autors, und man fragt sich: warum soll das gut sein, unbequemes Denken? Gleiches gilt für die Formel “er macht es seinen Lesern nie einfach” – als ob es eine grosse Kunst wäre, Leute zu verwirren.
Das Problem scheint darin zu liegen: bequem und einfach stehen im schlechten Ruf der Kleinbürgerlichkeit. Und deshalb erreicht der unbequeme Autor, der es seinen Lesern nicht zu einfach macht, vor allem eine eingeweihte Klientel von Intellektuellen, die sich gerne selber quälen.

bookmark_borderImitat vom Original

Liegt es am Aelterwerden, oder bin ich einfach übersättigt von zuviel Kunst? Oder kommt es nur mir so vor, dass manche Künstler nach einer kurzen Phase der Originalität am Anfang ihrer Karriere zu schlechten Imitatoren ihrer selbst werden?
Bob Dylan zum Beispiel: Er trat als junger Musiker, nur mit der Gitarre und Mundharmonika und mutterseelenallein in einem riesigen Saal vor sein Publikum, und sang Lieder, oder besser: sprach Texte, zu denen er sich auf der Gitarre begleitete, die vor ihm noch keiner gesungen hatte, und von denen er nicht sicher sein konnte, ob sie jemandem gefallen würden. Er sang ohne Hast und mit einer Selbstverständlichkeit, als ob er das schon immer gekonnt hätte. Wenn er vor lauter Nervosität seine Texte vergass, wandte er sich an sein Publikum um Hilfe – so gross war sein Vertrauen.

Eines Tages begann er dann, Rockmusik zu machen. Lieder mit Elektronik und einer Band herunterzuspielen. Wo vorher Spannung war, setzte er jetzt auf satten Sound. Statt der Pausen ein steter Fluss bekannter Harmonien. Statt der Fehler perfektes Arrangement.

Das Original mutierte zum Imitat seiner selbst. Schade, und kein Einzelfall leider.

bookmark_borderFortwährende Unruhe

Vor der Erfindung des Autos sollen die Menschen täglich problemlos 15 km und mehr zu Fuss gelaufen sein. Heute dagegen müssen wir uns bewusst vornehmen, das minimale Tagessoll von 10’000 Schritte zu gehen, um einigermassen gesund und fit zu bleiben. Glücklich, wer Freude hat an körperlicher Bewegung.

Umgekehrt haben wir oft Mühe, die Bewegung unserer Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen. An Ratschlägen zur Beruhigung mangelt es nicht: Atemübungen, Autosuggestionen (“ich bin ganz ruhig”), Zazen und viele andere Techniken helfen nachweislich. Ich frage mich allerdings, warum wir im Laufe der Evolution nicht ein Organ entwickelt haben, das die Funktion “Beruhigen – jetzt sofort” übernimmt? Wieviele Dummheiten würden wir nicht begehen, wieviel mehr Seelenfrieden hätten wir dank einer solchen Gedankenbremse.

Das Leben bleibt indes unvollkommen. Die Einsichten, über die ich mich heute freue, sind vielleicht morgen schon wieder überholt. Dies gilt es zu akzeptieren und dennoch weiter Einsicht zu suchen. 
Always look on the bright side of life…..

 

 

bookmark_borderAbschied von C

„Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.“ (Heraklit)

Ein gute Freundin wurde vor einiger Zeit mit Alzheimer diagnostiziert. Eine Perspektive auf Besserung gibt es nicht, statt dessen verdichtet sich rasch die Gewissheit des baldigen Verlustes ihres selbstbestimmten Lebens, begleitet von Alpträumen und Depressionen. Früher las sie gerne und viel, aber jetzt beklagt sie den Verlust der Fähigkeit, einem Narrativ überhaupt noch folgen zu können. Angesichts der Vorstellung, in einem Heim von fremden Leuten betreut sinnlos dahinzuvegetieren hat sie den Entschluss gefasst, mit Hilfe der Organisation Exit aus dem Leben zu scheiden. Sie wird dort betreut von einer erfahrenen Sterbebegleiterin, mit der sie sich regelmässig trifft. Sie ist überzeugt, dass das Sterben selbst schmerzlos und rasch geschieht, vergleichbar mit dem Abtauchen in eine Vollnarkose.

Sie wird in Würde gehen, das Datum ist so gewählt, dass genügend Zeit für das Abschiednehmen bleibt. Sie ist jetzt keineswegs deprimiert, sondern häufig fröhlich und unbeschwert. Was sie bedrückt ist die Trauer, die sie mit ihrer Entscheidung ihren FreundInnen zufügt. Ich aber kann nicht anders als sie beneiden um ihre Freiheit, die sie bis zuletzt verteidigt. 

Nachtrag:
Es ist jetzt eine Woche her, dass C. ihren Freitod vollzogen hat. Dass sie bis zuletzt guter Dinge war, sich geradezu freute auf ihre letzte Stunde mutet vielleicht surreal an. Bekannte, denen ich von C. erzähle, reagieren häufig mit Skepsis: kann das wirklich so einfach sein mit dem Sterben? Die meisten können es sich nicht vorstellen, so zu gehen. Sie reklamieren das Recht auf einen natürlichen Tod, der ohne eigenes Zutun irgendwann kommt. Ihnen sage ich, dass die Entscheidung von C. für den Freitod in Abwägung der möglichen Alternativen eines Weiterlebens gefallen ist. Denn wer allein lebt, wer keine engen Verwandten hat, die ihn betreuen werden, und wer nicht über die finanziellen Mittel für eine Rundum-Pflege verfügt, der wird sein Leben in einer unterdotierten, überbelegten Institution beenden, wo er oder sie einsam und elend bis zum Schluss vor sich hin dämmern darf. C. kannte solche Heime aus ihrer Berufspraxis als Pflegerin zur Genüge.

bookmark_borderVom Umgang mit Klagen

Man ist mit Bekannten im lockeren Gespräch, geniesst den Abend und ahnt nichts Böses. Und dann geschieht es: Einer muss anfangen, über die Welt zu klagen. Darüber, dass sie demnächst zugrunde geht. Oder dass er am Arbeitsplatz von lauter Idioten umgeben ist, dass der Staat mal wieder nur die Reichen privilegiert, und dass die Chinesen uns bald die letzten Ressourcen vor der Nase wegkaufen werden. Die Chinesen sind schlau! Die haben eine Strategie, der Westen dagegen wurstelt planlos vor sich hin und geht den Bach runter…..

Konfrontiert mit dem Hinweis, dass solche Reden zu den sich selbst erfüllenden Prophezeiungen gehören, dass sie das Narrativ von Populisten befördern und allesamt auf dummen Pauschalisierungen basieren, reagiert der Klagende natürlich beleidigt, verständlicherweise, aber der Abend ist ruiniert.

Wie also umgehen mit Geschwätz, das nervt, ohne dabei selbst die Nerven zu verlieren? Vielleicht funktioniert es so:
Versuchen, statt auf die Worte auf den Tonfall zu achten, in dem die Rede geführt wird. Welche Wörter werden verwendet, wie oft?
Versuchen, die Nachricht hinter den Worten verstehen (get the message!)
Gleichzeitig: Rückzug in die eigene Zitadelle, nichts denken und nicht sogleich reagieren.
Entscheiden, ob man den Abend retten will.

Und letztlich: andere Gesprächspartner suchen.