bookmark_borderEntscheiden-nachdenken

Nachdenken setzt voraus, dass wir uns zuvor entschieden haben, worüber wir nachdenken wollen.

Die Entscheidung, meine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gegenstand zu richten (und also alle anderen auszublenden) kann ich durch Abwägen, Prüfen, Hinterfragen aufschieben, bis zum Punkt, wo eine andere Stimme eingreift und sagt: Genug mit dem Hin- und Her, so machst du das jetzt!

Intuition, innerer Dämon, Glaube odere wie auch immer man das nennen mag – jedenfalls ist es nichts, was mit Vernunft zu tun hat, das den Ausschlag gibt für unsere intellektuellen Präferenzen, keine nachvollziehbare Logik, die zwingend zu diesem oder jenem Resultat führen würde.

Aus dieser Erkenntnis folgen für mich zwei Dinge:

Erstens, einer einmal getroffene Entscheidung, sich mit etwas gedanklich eingehender zu befassen muss man die Chance geben, sich zu bewähren. Man muss ihr Zeit geben, ihr Wirken beobachten, die Schwierigkeiten wahrnehmen und Lösungen suchen, sie anpassen auch an sich verändernde Bedingungen.

Zweitens, Entscheidungen können sich als falsch herausstellen, dann müssen die aus ihr folgenden Denkweisen aufgegeben werden. Dies wird umso schwerer fallen, je länger man mit ihnen gelebt hat, aber Sich-Trennen-Können ist eine überlebenswichtige Fähigkeit. Es hilft, jederzeit eine gewisse Distanz zu bewahren zu den eigenen Praktiken. Man sollte immer sagen können: Ich mach das jetzt mal so, aber letztlich gibt es keine Garantie, dass es richtig ist oder zum Erfolg führt.

Wie vergangene Entscheidungen sich in der Realität bewähren ist lehrreich. Wenn etwas nicht funktioniert hat, gilt es das anzunehmen ohne sich Vorwürfe zu machen. Denn was getan wurde kann ja nicht rückgängig gemacht werden. Die Ökonomen reden von “sunk cost” – das Geld wurde ausgegeben und kommt nicht wieder. Und umgekehrt ist es ratsam, Erfolge ebenso so ruhig und kühl zu betrachten und sich zu sagen: ich habe mein Bestes gegeben, aber Erfolg ist letztlich Glückssache und hängt nur zu einem kleinen Teil von meinen Handlungen ab.



bookmark_borderDie Furcht zu irren

Wer wissen will, muss den Irrtum wagen. Er muss scheitern können, immer wieder, bis sich Gewissheit einstellt. Dazu braucht es Mut, Durchhaltewillen, Phantasie. Hegel meinte in seiner Einleitung zur Phänomenologie des Geistes, »daß die Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist«. Und nach Kant sind am unaufgeklärten Geisteszustand vor allem des Menschen eigene »Faulheit und Feigheit« schuld.

Es braucht zum Denken zwei Dinge: Verstand und Vernunft. Verstand ist die Fähigkeit, die Dinge nüchtern zu betrachten, in ihre Einzelteile zu zerlegen, zu ordnen und sie einzusortieren in das Gedankengebäude. Die Vernunft setzt dem endlosen Analysieren und Einordnen Grenzen. Sie setzt Prioritäten, entscheidet darüber, was wichtig ist und sich weiterzuverfolgen lohnt, und lässt das andere in den Hintergrund treten.

Dank des analyischen Verstandes zerfällt die Welt in selbständige Einzelteile, die sich nicht wieder zusammenfügen lasssen. Zum Beispiel: Wir analysieren den Menschen als aus Körper und Geist bestehend. Aber wie fügen sich die beiden Teile zu einem ganzen Menschen? Die Frage hat die Philosophen lange beschäftigt. Aber das Problem des “ganzen Menschen” ist nur ein Resultat der vorgängigen analytischen Reflexion – ein Scheinproblem, eine falsche Frage. Manche ziehen daraus den Schluss, dass wir aufhören sollten mit dem Analysieren – dabei reicht es zu verstehen, dass der Verstand seine Grenzen hat.

Wir brauchen die Vernunft, um die Bedeutung abzuwägen, die wir den Fakten zumessen, und Geschichten zu schreiben, die Einzelereignisse zu grösseren Zusammenhängen verbinden.



bookmark_borderLast der Vernunft

Wenn wir Böses denken, regt sich die innere Zensur.  Wir bekommen ein schlechtes Gewissen, oder wir bestrafen uns selbst, zum Beispiel mit exzessiven sportlichen Leistungen, um uns so zu disziplinieren.

Es muss vernünftige Gründe geben, dass wir dies tun, sie liegen wahrscheinlich in der alten Einsicht, dass es langfristig für alle besser ist, wenn wir unsere Wünsche nach Zerstörung zurückbinden, in eine zivilisierte Form überführen und sie so irgendwie sozial verträglich ausleben. Dieses vernünftig sein kostet Energie, weshalb man abends müde ist vom sich zurückhalten, positiv denken und konstruktiv handeln müssen. Man kann das Kulturleistung nennen, oder den sozialen Vertrag: die Idee ist jedenfalls, dass jeder zum friedlichen Zusammenleben beiträgt, und dafür selbt in Frieden gelassen wird.

Allerdings profitieren nicht alle gleich stark von diesen Anstrengungen. Viele ernten für ihren Beitrag kaum Anerkennung. Vielleicht arbeiteten sie früher in einem angesehenen Beruf,  den es heute nicht mehr gibt: nun müssen sie sich noch mehr anstrengen als zuvor, haben aber ihren Status als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft verloren und werden benachteiligt. Oder sie sehen, dass andere scheinbar mühelos vorankommen in ihrem Leben, während sie selbst Krankheit, soziale Konflikte oder andere Hürden überwinden müssen. Für sie ist der soziale Vertrag nicht mehr erfüllt: Sie sollen mehr beitragen, ihre persönlicher Gewinn dagegen wird kleiner.

Es verwundert wenig, wenn solche im Leben zu kurz gekommene die kulturelle Anpassungsleistung irgendwann verweigern und politischen Verführern folgen, die ihnen als erstes Freiheit von der Last der Vernunft versprechen.