bookmark_borderAbschied von C

„Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.“ (Heraklit)

Ein gute Freundin wurde vor einiger Zeit mit Alzheimer diagnostiziert. Eine Perspektive auf Besserung gibt es nicht, statt dessen verdichtet sich rasch die Gewissheit des baldigen Verlustes ihres selbstbestimmten Lebens, begleitet von Alpträumen und Depressionen. Früher las sie gerne und viel, aber jetzt beklagt sie den Verlust der Fähigkeit, einem Narrativ überhaupt noch folgen zu können. Angesichts der Vorstellung, in einem Heim von fremden Leuten betreut sinnlos dahinzuvegetieren hat sie den Entschluss gefasst, mit Hilfe der Organisation Exit aus dem Leben zu scheiden. Sie wird dort betreut von einer erfahrenen Sterbebegleiterin, mit der sie sich regelmässig trifft. Sie ist überzeugt, dass das Sterben selbst schmerzlos und rasch geschieht, vergleichbar mit dem Abtauchen in eine Vollnarkose.

Sie wird in Würde gehen, das Datum ist so gewählt, dass genügend Zeit für das Abschiednehmen bleibt. Sie ist jetzt keineswegs deprimiert, sondern häufig fröhlich und unbeschwert. Was sie bedrückt ist die Trauer, die sie mit ihrer Entscheidung ihren FreundInnen zufügt. Ich aber kann nicht anders als sie beneiden um ihre Freiheit, die sie bis zuletzt verteidigt. 

Nachtrag:
Es ist jetzt eine Woche her, dass C. ihren Freitod vollzogen hat. Dass sie bis zuletzt guter Dinge war, sich geradezu freute auf ihre letzte Stunde mutet vielleicht surreal an. Bekannte, denen ich von C. erzähle, reagieren häufig mit Skepsis: kann das wirklich so einfach sein mit dem Sterben? Die meisten können es sich nicht vorstellen, so zu gehen. Sie reklamieren das Recht auf einen natürlichen Tod, der ohne eigenes Zutun irgendwann kommt. Ihnen sage ich, dass die Entscheidung von C. für den Freitod in Abwägung der möglichen Alternativen eines Weiterlebens gefallen ist. Denn wer allein lebt, wer keine engen Verwandten hat, die ihn betreuen werden, und wer nicht über die finanziellen Mittel für eine Rundum-Pflege verfügt, der wird sein Leben in einer unterdotierten, überbelegten Institution beenden, wo er oder sie einsam und elend bis zum Schluss vor sich hin dämmern darf. C. kannte solche Heime aus ihrer Berufspraxis als Pflegerin zur Genüge.